Prävalenz und Mortalität
In Deutschland leiden bis zu 5.000.000 Menschen an einer chronischen Lebererkrankung, dabei weisen ca. 1.000.000 von ihnen eine Zirrhose auf.3 Über 80 Prozent der Leberzirrhotiker entwickeln eine Hepatische Enzephalopathie (HE).4 Eine der Ursachen der HE ist die Unfähigkeit der geschädigten Leber, Ammoniak und andere Giftstoffe wie zu verstoffwechseln. Geht die Leberzirrhose auf eine Alkoholerkrankung zurück, ist die HE die Begleiterkrankung, genauer die Komplikation, die mit der höchsten Sterblichkeitsrate verknüpft ist. Eine Studie belegt, dass innerhalb eines Monats nach der Diagnose rund 45 Prozent der nicht behandelten Patienten sterben, wenn sie neben der HE auch noch an anderen Komplikationen litten. Nach einem Jahr waren es 64 Prozent, nach fünf Jahren 85 Prozent.5
Entstehung
Die Hepatische Enzephalopathie (HE) ist eine folgenschwere Komplikation der Leberzirrhose.1 Hauptursachen für eine Leberzirrhose sind in Deutschland Alkoholmissbrauch, Infektionen mit Hepatitis B- oder C-Viren aber vermehrt auch die nicht alkoholische Fettleber.
Bei der Entstehung der HE spielt das Zellgift Ammoniak, das als Proteinabbauprodukt vor allem im Darm, aber auch in Nieren und Muskeln anfällt, eine entscheidende Rolle: Während eine gesunde Leber das Ammoniak problemlos verstoffwechselt, ist die Ammoniakentgiftung bei einer Leberzirrhose um bis zu 80 Prozent reduziert.3 Aufgrund der starken Schädigung des Lebergewebes, wird im Blut Ammoniak an der Leber vorbei transportiert, in die obere Hohlvene geleitet, passiert die Blut-Hirn-Schranke und gelangt so ins Gehirn.1 Dort lässt Ammoniak bestimmte Hirnzellen (sternförmige Astrozyten) anschwellen, wobei der entstehende Druck ein Hirnödem (Schwellung des Gehirns) hervorrufen kann. Die Folge sind Funktionseinschränkungen des Zentralnervensystems, die sich in verminderter Denkleistung, aber auch in motorischen Störungen äußern und bis zum Leberkoma und Tod führen können.
Formen und Symptome
Der Verlauf der Hepatischen Enzephalopathie (HE) wird grundsätzlich in zwei Formen unterteilt, die durchaus parallel auftreten können. Dabei unterscheidet man zum einen zwischen dem Krankheitsverlauf (persistierende und episodische HE) sowie den Einteilungen hinsichtlich der Schwere der Erkrankung und ihrer Symptome (minimale und manifeste HE).
Persistierende (Konstante) HE
Bei diesem Verlauf sind die Patienten kontinuierlich in ihren mentalen und motorischen Fähigkeiten eingeschränkt; die Bewusstseinsstörung ist dauerhaft.
Episodische HE
Die HE verläuft in Schüben. Dabei wechseln sich Phasen mit Bewusstseinsstörung und solche ohne neurologische Symptome ab. Diese bilden sich allerdings nicht ganz zurück: Mit jeder HE-Episode kann die mentale und motorische Leistungsfähigkeit weiter beeinträchtigt werden.6
Minimale HE
Bei der minimalen HE zeigen sich keine klinischen Auffälligkeiten, jedoch bilden neuropsychologische Tests deutliche kognitive Defizite ab, die die Lebensqualität bereits beeinträchtigen können.
Manifeste HE
Die Lebensqualität der Patienten ist deutlich eingeschränkt; es treten teils schwerwiegende psychische und neurologische Symptome auf. Im letzten Stadium kann der Patient ins Leberkoma fallen.2,7
Die Symptome der HE sind vielfältig. Zu Beginn äußert sich die Krankheit nur sehr unspezifisch, etwa durch Müdigkeit, Konzentrationsschwäche und Desinteresse. Aufgrund dieser unspezifischen Symptome fällt es Ärzten häufig schwer, auf eine HE zu schließen.
Symptome
Bereits die minimale HE (mHE) führt zu eingeschränkter Lebensqualität und Alltagstauglichkeit, wie zum Beispiel einer verminderten Fahrtüchtigkeit. Patienten mit Leberzirrhose sollten deshalb stets auf mHE bzw. HE untersucht werden1. Anzeichen einer voranschreitenden HE sind dann beispielsweise eine verminderte Auffassungsgabe, plötzliche Erinnerungslücken, aber auch eine eingeschränkte allgemeine Leistungsfähigkeit und besonders lang anhaltende Müdigkeit – eine enorme Belastung für die Betroffenen.1 Die Persönlichkeit verändert sich, es treten vermehrt Stimmungsschwankungen auf, Verwirrtheit und Angst sind zusätzliche Phänomene der HE. Äußerlich zeigt sich eine fortschreitende HE an einer unkoordinierten Feinmotorik oder einer verwaschenen Sprache, auch in Verbindung mit einer unsauberen Handschrift. Wird der Betroffene nicht behandelt, verschlechtern sich die Symptome weiter; schwere Benommenheit, ausgeprägte Desorientierung, Krämpfe und ein kaum zu stoppendes Zittern der Hände sind die Folge. Am Ende der Erkrankung stehen Leberkoma und Tod.
Diagnose
Die Hepatische Enzephalopathie (HE) kann bereits bei einem routinemäßigen Besuch in der hausärztlichen Praxis auffallen: Zeigen sich bei Patienten mit chronischen Lebererkrankungen Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen, Sprachschwierigkeiten, Unsicherheiten beim Gehen oder Zeichen von Abgeschlagenheit, könnte eine HE dahinterstecken. Oft werden jedoch die Symptome mit Altervergesslichkeit oder Alkoholkonsum in Verbindung gebracht. Eine frühzeitige Diagnose der HE ist besonders wichtig, denn schon bei der minimalen HE (mHE) können Lebensqualität, Erwerbsfähigkeit und Fahrtüchtigkeit der Patienten beeinträchtigt sein.8,9 Wird der HE nicht entgegengewirkt, drohen weitere Verschlechterungen.
Sind sonstige neurologische Erkrankungen und metabolische Ursachen ausgeschlossen, können simple Papier-Bleistift-Tests einen Hinweis auf eine HE liefern. Vor allem der Zahlenverbindungstest lässt sich gut in der Praxis durchführen10, da dieser ein Bild über die visuellen Fähigkeiten, motorische Geschwindigkeit und Präzision des Patienten gibt. Auch Konzentration, Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung werden überprüft.3 Eine Schriftprobe oder die Aufgabe, aus Streichhölzern einen Stern zu legen, können ebenfalls erste Hinweise auf eine HE geben.
Beim Verdacht auf eine HE sollte der Patient zur Sicherung der Diagnose an einen Hepatologen oder an eine Klinik überwiesen werden. Die finale Diagnose erfolgt dann in erster Linie anhand klinischer und laborchemischer Untersuchungen. Dazu zählen Laborbestimmungen wie der Leberfunktionstests, bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomographie (MRT) und elektrophysiologische Diagnostik wie die Elektroenzephalografie (EEG). Diese Untersuchungen dienen vor allem dazu, andere Ursachen für die neurologischen Störungen auszuschließen.8
Therapie
Eine manifeste Hepatische Enzephalopathie (HE) ist nach den Leitlinien der europäischen und amerikanischen Fachgesellschaften immer behandlungsbedürftig, eine minimale HE immer dann, wenn Patient oder Angehörige feststellen, dass die Lebensqualität beeinträchtigt ist.10 Generell wird bei der Therapie der HE zwischen Akuttherapie und Prophylaxe unterschieden.
Tritt akut eine Episode auf, müssen zunächst die auslösenden Ursachen identifiziert und behandelt werden, da dies bereits häufig zu einer Linderung der Symptome führt. Auslöser einer Episode können Magen-/Darm-Blutungen, übermäßiger Eiweißkonsum, Verstopfung oder die Einnahme von Beruhigungsmitteln sein. Auch ein Ungleichgewicht im Elektrolythaushalt, Infektionen, Verletzungen oder unzureichende Flüssigkeitszufuhr können eine HE-Episode auslösen.7
Auch durch eine angepasste Ernährung kann es möglich sein, den Verlauf der HE zu beeinflussen. Welche Ernährung sinnvoll ist, unterscheidet sich sehr individuell und sollte deshalb in jedem Fall zuerst mit dem behandelnden Arzt besprochen werden.
Bereits nach der ersten HE-Episode ist eine konsequente Prophylaxe gegen weitere Schübe notwendig1, denn mit jeder weiteren Episode drohen dauerhafte Verschlechterungen des mentalen Zustands, die sich aufsummieren. Damit verbunden sind eine höhere Sterblichkeitsrate5 und das Risiko von Hirnschäden, die sich nicht mehr zurückbilden.6
Konventionelle medikamentöse Maßnahmen zielen vor allem darauf ab, den Ammoniakspiegel zu senken. Dies kann durch eine Verminderung der Ammoniakproduktion im Magen-Darm-Trakt oder durch eine vermehrte Ammoniakausscheidung erfolgen.6
Behandlungsmöglichkeiten1
Bei einem akuten Schub der Leber-Hirn-Störung geht es zunächst darum, mögliche Auslöser zu erkennen und zu beseitigen.
Zur Behandlung bzw. Vorbeugung der LHS gibt es verschiedene Möglichkeiten, nämlich die Wirkstoffe Lactulose, L-Ornithin-L-Aspartat und Rifaximin. Wichtig ist, schädliches Ammoniak zu verringern, da dieses aufgrund der Leberzirrhose nicht mehr ausreichend abgebaut werden kann.
Rifaximin ist ein Antibiotikum, das kaum in den Körper aufgenommen wird und nur im Darm wirkt. Es verringert dort die ammoniakbildenden Bakterien, wodurch weniger schädliches Ammoniak in das Blut gelangt.
Lactulose ist ein künstlicher Zucker, der die Verdauung anregt. Er verstärkt die Bildung von „guten“ Bakterien im Darm. Dadurch wird das Darmmilieu (die Lebensbedingung für die Darmbakterien) leicht sauer, so dass weniger Ammoniak in den Körper aufgenommen wird. Gleichzeitig verringert sich die Zahl der ammoniakbildenden Bakterien und es wird vermehrt ungiftige Milchsäure gebildet, so dass weniger Ammoniak im Blut ist und zur Leber gelangt.
L-Ornithin-L-Aspartat regt den Abbau von schädlichem Ammoniak in unschädlichen Harnstoff an, der vermehrt über den Urin ausgeschieden wird. Dadurch sinkt der Ammoniakgehalt im Körper.
Um auch nach einer Akuttherapie in der Klinik das Risiko für weitere Schübe zu minimieren ist eine konsequente Weiterbehandlung des Patienten, betreut durch den Hausarzt, unverzichtbar.1 Die Koordination zwischen Klinik und Hausarzt vor und nach der Behandlung muss also engmaschig und lückenlos erfolgen.
1 Grüngreiff H. Thieme-Refresher Innere Medizin 2014:R1-R6
2 Vilstrup H et al. J Hepatol 2014; 61:642–59.
3 Jablonowski H. Thieme Praxis Report 2014; 6(1):1-16
4 Labenz J. Z Gastroenterol 2014; 52–KG116
5 Jepsen P et al. Hepatology 2010; 51(5):1675-1682.
6 Bajaj JS et al. Gastroenterol 2010; 138:2332–40.
7 Zhan T et al. Dtsch Ärztebl Int 2012; 109(10):180–7.
8 Sanyal A et al. Aliment Pharmacol Ther 2011; 34(8):853–61
9 Bajaj JS et al. Hepatology. 2009 Oct; 50(4):1175-83
10 American Association for the Study of Liver Diseases; European Association for the Study of the Liver. Hepatic encephalopathy in chronic liver disease: 2014 practice guideline by the European Association for the Study of the Liver and the merican Association for the Study of Liver Diseases. J Hepatol 2014; 61:642–59